Der Jagdtrieb – näher beleuchtet
Über den Jagdtrieb hört man in der Hundewelt die unterschiedlichsten Erklärungen. Oft wird panisch darauf reagiert, dass der eigene Hund Jagdtrieb zeigt. Ich erinnere mich immer wieder mit einem großen Grinsen an meine aktive Tierschutzzeit, in der ich hauptsächlich Jagdhunde, Großwildjäger der Rasse Rhodesian Ridgeback unter Tierschutzaspekt in ein neues Zuhause vermittelte. In dieser Zeit war ich auch Ansprechpartner bedingt durch eine Internetpräsenz, für Hundehalter, die sich erstmals einen Rhodesian Ridgeback kauften. Der mich stets mit einem netten Lachen belohnende Anruf galt der Erkenntnis: Frau Thompson, mein Hund fängt an zu jagen. Was soll ich jetzt tun? Völlig entnervt und ängstlich darüber, diesem Verhalten nicht beikommen zu können, versuchte man nun von mir ein Patentrezept zu bekommen, wie der Hund diesen Trieb wieder „abstellt“. Sie lächeln auch oder fühlen sich in der gleichen Situation? Nun, meine erste Antwort war darauf: Herzlichen Glückwunsch, Sie wurden nicht betrogen. Sie haben einen Rhodesian Ridgeback gekauft, einen Jagdhund, einen Großwildjäger. Es ist tatsächlich auch drin, wonach er aussieht. Sie finden es nicht witzig? Doch! Ist es. Möchte ich mit einem Jagdhund leben, dann muss ich mir auch bewusst darüber sein, dass dieser wohl oder übel auch Jagdtrieb hat!
Was ist denn nun aber Jagdtrieb und was zählt eigentlich nicht dazu?
Jagen ist im Grunde eine Aufeinanderfolge, eine Abfolge verschiedener Handlungen. Hierzu gehören das Suchen und Entdecken, das Anschleichen, das sogenannte Nachjagen, das Hetzen, das Packen und Schütteln, auch das Töten. Es wird weggeschleppt und gefressen. Jede dieser einzelnen Verhaltensweisen kann nochmals unterteilt werden und unterscheidet sich aufgrund unterschiedlicher Lernerfahrungen, Umweltbedingungen, auch sozialer Hintergründe (Einzelhund, Mehrhundehaltung).
Fast jeder Hund hat einen mehr oder weniger ausgeprägten Jagdtrieb. Diesen gilt es zu kontrollieren. Bitte nicht zu unterdrücken, denn dann entsteht Triebfrust! Hat Ihr Hund also Jagdtrieb, will er arbeiten. Er muss arbeiten. Das bedeutet natürlich auch folgende Formel:
Körperliche Bewegung, Auslastung in der Natur + Erreichen des Objekts seiner Begierde (das ihm erlaubte!) durch seine Nasenarbeit = glücklicher, ausgeglichener Hund.
Da ein Trieb auf Bedürfnisse abgezielt ist, können wir also sagen, dass das Jagdverhalten durch das Appetenzverhalten, also ein Verhalten, das ein Bedürfnis befriedigen soll, ausgelöst wird. Das Jagen an sich ist demnach eine Reihe von Reizen mit entsprechenden Reaktionen. Wieder das Beispiel: Hunger oder auch Langeweile führen zu einem gezielten Suchen von Fährten, Spuren. Nimmt der Hund Witterung auf, beginnt er, dieser Spur hinterher zu gehen. Kommt er seinem Ziel nahe, wird er die Beute ergreifen. Daraus resultiert (normalerweise, bei unseren Haushunden nicht wünschenswert) das Töten der Beute. Das wiederum bringt die Befriedigung des Bedürfnisses „Hunger“ und beendet die Reaktionsfolge. Siehe hierzu noch mal: Appetenzverhalten!
Zum Jagdtrieb gehört auch der Hetztrieb. Bei vielen Hunden ist genau dieser Trieb sehr stark ausgeprägt. Sieht der Hund ein Wild, also haben Sie einen Sichtjäger, kann es sein, dass Ihr Hund dem Wild nachstellt und hetzt. Es gibt einige Hunderassen, bei denen genau dieser Trieb gewünscht ist, zum Beispiel bei Bracken und Windhunden. Im Grunde sollte aber bei jedem Haushund dieser Trieb unterbunden werden, direkt im Welpenalter Einfluss genommen werden.
Was sind die Bestandteile einer Jagd, wie ist der Verlauf?
- Das Aufspüren durch Suchen von Geruchs- und Sichtspuren
Tipp: Hunde reagieren blitzschnell auf Geräusche, die Beute verheißen. Sie bemerken rasche Bewegungen und verfolgen mit Schnüffeln Spuren und Fährten. Wir Hundehalter können in dieser Phase noch Einfluss nehmen. Denn die Aufmerksamkeit auf etwas ist noch umlenkbar. Durch Spiele und Umlenkungen können wir hier noch den Jagdinstinkt bei unseren Hunden befriedigen.
Normalerweise hört der Hund zu diesem Zeitpunkt noch auf seinen Namen. Viele folgen unseren Pfiffen. Arbeiten Sie dann mit positiver Verstärkung, also belohnen Sie mit Streicheleinheiten oder Ähnlichem, was einen hohen Belohnungswert bei Ihrem Hund hat, können Sie in der Phase 1 das Verhalten abbrechen.
- Das Nachstellen durch Hetzen und/ oder Umkreisen der Beute
Bei der Hetze entwickelt der Hund einen Tunnelblick. Er sieht und hört nur noch den Fasan, den Hasen oder was auch immer seinem Naturell entsprechend Beute sein kann – oder gar einen Jogger oder Radfahrer. Dieses freudige Gefühl, ja, dieses Glücksgefühl, können Sie in diesem Moment nicht mehr zu stoppen.
Tipp: Auch das Erstarren und Fixieren zählen zum typischen Jagdverhalten. Der Hund schätzt ab, ob ein Nachjagen erfolgreich sein kann. Hier können ein Lieblingsspielzeug und Kommandos den Hund abhalten. Auch Bälle können als Beute betrachtet werden. Lenken Sie ab, um … aber hier ist auch Achtung gegeben, denn Fang- und Nachlaufspiele führen immer wieder zu Unfällen, gerade auch mit Kindern.
- Das Fangen der Beute, indem der Hund aufspringt und sich verbeißt
- Das Töten der Beute durch totschütteln oder einem gezielten Biss in den Nacken, in den Hals. Danach wird im Grunde die Bauchdecke aufgerissen.
- Finale: Fressen der Beute. Dabei werden Fleischstücke abgerissen und nicht etwa genüsslich verspeist, sondern vielmehr herunter geschlungen.
Das Jagdverhalten allgemein kann man dem Hund nicht einfach abgewöhnen, aber man kann in kontrollierte Bahnen lenken! Man muss versuchen, den Trieb zu kontrollieren, indem man ihn beispielsweise auf Spiel oder andere Aktivitäten, die Interesse beim Hund wecken, umleitet. Mit Erziehung lässt sich ein rechtzeitiger Rückzug erreichen.
Stellen wir also noch mal fest:
Eine Fährte aufnehmen, fixieren und hetzen liegen in der Natur unserer Hunde. Im Grunde jagen alle Hunde; die einen mehr, die anderen weniger. Und trotz Domestikation ist das Jagen in der Erbsubstanz des Hundes verankert. Das Jagen gehört zum Hundeleben und ist auch eine Art Belohnung. Wölfe und verwilderte Hunde verschaffen sich auf diesem Weg Nahrung. In Portugal habe ich wildlebende Hunde oben in den Bergen in den Wäldern beobachten können. Sie jagen selbständig. Schon ein Teil des komplexen Jagdverhaltens, das mit dem Suchen, dem Aufspüren beginnt und bestenfalls mit dem Erlegen der Beute endet, verheißt Genugtuung. Da nicht jeder Jagdversuch Beute bringt, Misserfolge auf Dauer aber demotivieren, würden erfolglose Jäger bald aufgeben und verhungern. Darum reagieren Hunde immer wieder auf verschiedene Reize. Beispiele hierzu sind das plötzliche Weglaufen der Beute, was Hunde enorm in Aktion bringen kann. Oder aber das Aufspüren von Beute wird als Belohnung empfunden. Das Nachjagen einer Beute kann mit Lust verbunden sein. Der Jagdtriebist also im Ernährungstrieb verankert. Er stellt durch das Aufspüren und Verfolgen, dem Reißen der Beute, die Nahrungsaufnahme sicher und damit eben auch das Überleben. Das heißt, hiermit wird deutlich, dass der Jagdtrieb dem Selbsterhaltungstrieb unterliegt. Er wird unter anderem durch Hunger ausgelöst oder auch durch den Beutetrieb aktiviert (zum Beispiel durch fliehende Beute).
Aber, da wir (hoffentlich) keine hungernden Haushunde haben, kann eben auch nicht jedes jagdlich motivierte Verhalten als Jagdtrieb bezeichnet werden. Hunde jagen nicht aus einem inneren Antrieb heraus. Das bedeutet, dass der Jagdtrieb auch ohne jedes Bedürfnis nach Nahrungsbeschaffung, wenn der Hund die Veranlagung zum Jagen aufweist, aktiviert werden kann. Wie z. B. bereits geschrieben, Langeweile oder entsprechende Schlüsselreize.
Im nächsten Teil: Beute-, Spür-, Störer-, und Bringtrieb
Teil 1: Die Triebe der Hunde – Einführung
Teil 2: Was ist ein Trieb?
Teil 3: Das Appetenzverhalten
Teil 4: Der Selbsterhaltungstrieb