Was verstehen wir unter primären Verstärkern?
3.8.1. Primärverstärker
Verdeutlichen wir uns doch erstmal, was PRIMÄR heißt:
Primär bedeutet: in erster Linie, vor allem, wesentlich, hauptsächlich, als Wichtigstes, übergeordnet …
Die bekanntesten Beispiele für den Einsatz primärer Verstärker, nicht nur in der Hundeerziehung sondern in der Psychologie im Allgemeinen, sind die Grundbedürfnisse wie: Hunger, Durst, Zuwendung, Sexualität, Körperbewegung, Körperruhe, Anspannung und Entspannung.
Primäre Verstärker sind im grunde sämtliche Reize, die auf den Organismus stärkend wirken. Dabei muss dem überhaupt kein Lernprozess vorangegangen sein. Das heißt auch, das Primärverstärker oder besser, das Wissen um diese, sozusagen den Hunden bereits in die Wurfkiste gelegt wurde ; sie sichern unter anderem das Überleben (siehe hier auch oben genannte Beispiele wie Hunger, Durst, aber auch Territorium und Schutz). Sie sind also Dinge, die ein Hund positiv empfindet, die ihm angenehm sind. Noch mal: Dazu gehören unterschiedliche Dinge wie Ressourcen (beispielsweise Futter) aber auch Sozialkontakte (sowohl zu Artgenossen als auch zu Menschen), auch Beute und Beuteersatz. Natürlich ebenso Spiele, aber auch das Jagen.
In der Hundeerziehung allerdings machen wir Menschen es uns oft ein wenig zu einfach, wahrscheinlich aber nicht beabsichtigt. Einfach vermutlich darum, weil wir ungenügend Wissen um die Hundeerziehung im Allgemeinen angehäuft haben und im Speziellen zu wenig in diesem Fall über Verstärker, primäre Verstärker wissen. Das Fatale ist, dass die meisten Hundebesitzer bei Verstärkern direkt nur an Futter/ Leckerlies denken. Das ist aber so nicht richtig. Es gibt so viele Primärverstärker, die alle einen unterschiedlichen Wert bei den Hunden einnehmen. Alle dieser Verstärker haben ihre Berechtigung und sind individuell auf den einzelnen Hund und die Situationen, in denen wir mit Verstärkern arbeiten, anzupassen.
Ein ganz simples Beispiel gibt das Belohnen durch Futter als Verstärker her:
Ihr Hund ist satt, hat kein Hungergefühl. Auch Ihr Leckerlie ist zwar ganz fein, aber eigentlich, genau genommen nichts, was Ihren Hund jetzt mal so richtig von den Socken haut, was keines seiner Bedürfnisse befriedigt. Was denken Sie, wie stark kann Ihr Futter als PRIMÄRverstärker wohl sein? Ich behaupte mal, Glücksfall. Wollen Sie aber unbedingt mit Futter arbeiten, weil Ihnen eigentlich auch nichts anderes als Verstärker einfällt, dann sollten Sie vielleicht mal die morgendliche Fütterung ausfallen lassen. Und glauben Sie mir, Ihr Hund fällt nicht gleich vom Fleisch und wird auch nicht eines Hungertodes sterben. Er kann damit sehr gut umgehen; das liegt nämlich schon in seinen Genen! Gehen wir also davon aus, Sie füttern morgens nicht und machen sich ans Training. Was denken Sie? Können Sie nun Ihren Hund mit Futter und/ oder Leckerlies besser belohnen? Ich glaube schon. Das erklärt sich durch das Prinzip der Verstärker. Nämlich dadurch, dass Primäre Verstärker unmittelbar auf den entstandenen Reiz wirken. Ist nun aber der Reiz Hunger, wie beim Beispiel in der Arbeit mit Futter aktuell gar nicht vorhanden, so wird der primäre Verstärker weder gefordert noch angenommen.
Wenn also Primärverstärker die Bedürfnisse der Hunde befriedigen w. z.B. Hunger, Durst und Jagen, müssen wir natürlich auch berücksichtigen, dass wir auch schon einen Verstärker wählen, bei dem ein Bedürfnis auf die Belohnung bei unserem Hund in dem Moment der Verstärkung besteht. Wie bereits geschrieben, wird ein voll gefressener Hund kaum noch motivierbar durch weitere Futtergaben sein. Auch einen Hund, der Angst zeigt/ hat, werden Sie kaum für ein Spiel begeistern können und schon gar nicht durch dieses belohnen. Und wenn Ihr Hund ein hohes Energieniveau hat und sehr agil ist, los will, rennen möchte, dann werden Sie ihn in dem Moment mit Streicheleinheiten kaum belohnen können – im Gegenteil, das kann ihn gar ganz nervös machen. Ihr Primärverstärker muss stark sein, so wie es das Wort schon sagt, verstärken durch starke Argumente!
Eigene Praxisbeispiele
- Tango, unser knapp 2-jähriger Rhodesian Ridgeback-Rüde, ist leidenschaftlicher Jäger. Möchten wir es erst gar nicht zu einem Abbruchsignal kommen lassen und richten wir unsere Aufmerksamkeit darauf, dass er seine wiederum auf uns richtet und bei uns bleibt, können wir sein Verhalten, nämlich bei uns zu bleiben und nicht jagen zu gehen, nicht mit Futter verstärken, diese Belohnung ist für ihn nicht stark genug. Das stärkste Signal für ihn, das Größte ist dann beispielsweise mit Herrchen zu rennen. Auch unser Zulu, sein Sozialpartner, als Artgenosse, fordert ihn sofort zum Spielen und Laufen auf. Dann beginnt das große Rennen, erst mit Herrchen und dann mit Zulu – sie laufen Energien frei. Das ist für Tango so wichtig und steht bei ihm an oberster Stelle. Die Belohnung ist also das GEMEINSAME RENNEN. Diese Belohnung ist für ihn so stark, dass er dafür dieses Verhalten öfter zeigt, also immer öfter von alleine bei uns bleibt und dieses auch immer mit der gemeinsamen Aktion verstärkt wird.
- Zulu, unser knapp 7-jähriger Rhodesian Ridgeback-Rüde, liebt es den Macker an der Leine zu spielen, wenn andere Hunde an ihm vorbei geführt werden. Um es nicht so weit kommen zu lassen, mussten wir natürlich auch für ihn den optimalen Verstärker finden, damit ein gelassenes Verhalten trotz Hundebegegnung an der Leine gezeigt wird und er sich zurücknehmen kann. Also haben wir das Zurücknehmen verstärkt. Da Zulu extrem auf Futter reagiert und für ihn liebe Worte von Frauchen und das Wohlwollen von Herrchen ganz wichtig sind, arbeiteten wir (und arbeiten immer noch) hierüber. Bin ich, die Autorin, mit Zulu an der Leine und er bleibt ruhig, bekommt er seine Lieblingsleckerchen oder aber ich überhäufe ihn mit meiner ganzen Liebe. Führt Herrchen ihn problemlos an einem anderen Hund vorbei, ist es für Zulu das Größte, von ihm wohlwollend gestreichelt und angesprochen zu werden. Er vergräbt sich quasi regelrecht mit Katzenbuckel in ihn hinein und tänzelt vor Freude.
Merke:
Primäre Verstärker sind beispielsweise Leckerchen, Streicheleinheiten oder gemeinsame Aktionen, Spiele und alles, was eine tatsächliche Belohnung aufgrund der Bedürfnisse eines Hundes sind.
Primäre Verstärker sind deshalb von Natur aus schon Belohnung, weil sie auf die Bedürfnisse des Hundes abzielen. Bei der Arbeit mit Primärverstärkern muss keine Übung vorausgegangen sein, es muss kein Lernprozess vonstatten gegangen sein.
Weiterführende Links zur Artikelserie Hundeerziehung:
Habituation und/ oder Gewöhnung
Fehler vermeiden in der Hundeerziehung