Gegenkonditionierung in der Arbeit mit dem Hund
Um das Thema Gegenkonditionierung richtig verstehen zu können und die tatsächlichen Inhalte zu begreifen, sollten Sie sich zuvor mit der Konditionierung auseinandersetzen. Zudem bitte ich Sie, das Thema Desensiblisierung auch gelesen zu haben, um die Thematik ganz zu verstehen.
Nur, wenn Sie wirklich die Inhalte kennen, verstehen Sie, was Gegenkonditionierung bedeutet und wie diese anzuwenden ist. Denn im Grunde ist beispielsweise die Desensibilisierung eine Form der Gegenkonditionierung. – aber eben nur eine Form von … Das wird im späteren Verlauf noch erklärt.
Wenn Sie nun diesen Beitrag lesen, lesen Sie ihn bitte auch in Ruhe und freiem Geist. Zu leicht wird oberflächlich überflogen und dann eben nicht entsprechend verinnerlicht.
Gegenkonditionierung findet häufig Anwendung in unterschiedlichen Problemverhalten. Unerwünschtes Verhalten lässt sich mittels Gegenkonditionierung zuverlässig und auch realistisch reduzieren.
Die Gegenkonditionierung beruht lerntheoretisch auf der klassischen Konditionierung.
Dabei geht es nicht um den Aufbau einer Verhaltensstruktur, sondern um das Verändern von Verhalten. Die Veränderung eines Verhaltens erzielen Sie bei Ihrem Hund durch wiederholte (angenehme) Erfahrungen mit oder in einer bestimmten Situation.
Und da sind wir dann auch schon im Thema. Die angenehme Erfahrung muss sofort im Anschluss an das Auftreten des Reizes/ Signals, der/ das das unerwünschte Verhalten auslöst, erfolgen. Sie beginnen mit der Gegenkonditionierung bei Auftreten des Reizes/ des Signals und beenden diese DIREKT , wenn der auslösende Reiz/ Signal nicht mehr vorhanden ist.
Ziel der Gegenkonditionierung ist also, Ihren Hund, der bereits auf einen Reiz/ Signal negativ reagiert, so (gegen) zu konditionieren, dass er bei dem entsprechenden Reiz/ Signal ein angenehmes Erlebnis, und zwar dauerhaft, verzeichnet, so dass diese negative Reaktion von einer anderen, von Ihnen gewünschte Reaktion, ersetzt wird.
Um mit der Gegenkonditionierung zu beginnen, sollten Sie zunächst einmal herausfinden, ab wann Ihr Hund reagiert. Wann wird er nervös, fängt zu knurren oder zu bellen an? Oder ab wann fängt Ihr Hund schon an, zu fixieren, seinen Gang zu verändern, sich groß zu machen?
Hier einige Beispiele zur Veranschaulichung:
Fremdhund:
- Wie weit ist der fremde Hund entfernt?
- wie weit die Entfernung zu einem Fremdhund?
- ab wann macht sich Ihr Hund steif?
- Wann fängt Ihr Hund an, zu fixieren?
Angst vor Staubsauber/ Aggression gegen Staubsauger
Wie verhält es sich beim Staubsauger? Wann verändert sich das Verhalten Ihres Hundes, ab wann reagiert er auf den Staubsauger?
- Schon, wenn Sie ihn holen?
- Wenn er im Zimmer steht?
- Sie ihn anschließen?
- Sie ihn betätigen – und beim ersten Geräusch?
- Beim aktiven Staubsaugen?
Ohrentropfen/ Mittel zur Ohrenreinigung
Sie möchten Ihren Hund an den Ohren versorgen, er lässt es aber nicht zu, reagiert aggressiv. Ab wann?
- Wenn Sie die Flasche in der Hand halten?
- Sie mit der Flasche auf Ihren Hund zukommen?
- Wenn sie diese öffnen?
- Sie sein Ohr anfassen?
- Sie sein Ohr berühren und die Flasche nehmen?
- Sie die Flasche an sein Ohr reichen?
- Die Flüssigkeit in sein Ohr trifft?
Hier liegt es nun an Ihnen, ganz genau und präzise die niedrigste Toleranz-Schwelle bei Ihrem Hund zu finden. Das ist dann nämlich genau der Punkt, an dem Ihr Hund erstmals auf den Reiz reagiert. Die Anzeichen dafür können sehr minimal sein und flüchtig hingeschaut, kaum (be)merkbar, aber genau diesen Punkt müssen Sie finden. Es kann beispielsweise ein kurzes Aufschauen sein, ein Zucken der Ohren oder aber auch ein ein langsames Flüchten. (In der Praxis habe ich oft erlebt, dass Halter dann sagen, ach guck, der weiß schon, was auf ihn zukommt, der flüchtet schon und darauf gab es ein verständnisvolles und bewunderndes Lächeln dazu). Aber genau das ist der Punkt, es ist überhaupt nicht lustig, der Hund fühlt sich in einer Misslage, er zeigt erste Stresssignale. Es ist also wichtig, die ersten Anzeichen zu erkennen, Stresssignale wahrzunehmen.
Was können erste Anzeichen sein? Einige Beispiele – es gibt noch viele mehr:
- Weggucken
- Lecken über die Lefzen
- Strecken oder Dehnen der Gliedmaßen
- Das typische Gähnen
- Stress abschütteln, also sich schütteln
- Lefzenplustern
- Ohrenspiel (Anlegen, Absenken, Aufstellen, Hochziehen)
- Sich kratzen, hinter dem Ohr kratzen
Haben Sie nun die Toleranz-Schwelle gefunden, können Sie mit den ersten Schritten, der ersten Phase der Gegenkonditionierung beginnen, zu arbeiten. Sie kennen den Stressauslöser? Gehen wir hier jetzt mal von einem Fremdhund aus, damit ich es am gleichbleibenden Beispiel erklären kann. Ihr Hund zeigt unerwünschtes Verhalten. Nehmen wir an, er beginnt zu knurren und zu bellen.
Nun suchen Sie sich bewusst eine solche Situation, provozieren diese. Wie geht das vonstatten? Was haben Sie tun?
Ablauf einer Gegenkondition am Beispiel Fremdhund:
In der Verhaltenstherapie wird ein Signal/ Reiz mit einem anderen Signal/ Reiz verknüpft.
Ihr Hund trifft nun auf einen Fremdhund und er reagiert sofort mit Bellen oder Knurren. Jetzt müssen Sie ihm einen anderen Reiz geben, Sie beginnen nun mit der Verknüpfung eines anderen Reizes, der ihm angenehm ist und ihn in ein erwünschtes Verhalten bringt. Sie füttern ihn mit Leckerli aus der Hand. Und zwar solange, wie die Anwesenheit des Fremdhundes dauert. Ist der Stressauslöser nicht mehr anwesend, hören Sie sofort damit auf. Wenn Sie dieses nun strikt wiederholen und zwar immer, dann assoziiert Ihr Hund den Fremdhund mit Ihrem Leckerli in Ihrer Hand und wird sich beim Sichtkontakt zu einem anderen Hund direkt zu Ihnen zuwenden, anstatt den Fremdhund anzuknurren. Wenn Sie also besonders gute Leckerli verwenden, sollte Ihr Hund mit Erscheinen des Auslösers das Futter/Leckerli bekommen und zwar ohne Pause, bis der Auslöser verschwunden ist. Dabei ist völlig unerheblich, wie sich Ihr Hund verhält. Wichtig hier ist, dass Ihr Hund die Leckerli fressen kann und auch will! Wenn Sie dieses wirklich korrekt und konsequent immer wieder so durchführen, löst der zuvor verhaltensauslösende Reiz mit der Zeit Freude auf (benanntes Beispiel)Futter aus. Wenn Sie nicht mit Futter arbeiten möchten, können Sie natürlich alles andere nutzen, was Ihr Hund tatsächlich ausreichend attraktiv findet, aber Achtung, es muss auch langfristig attraktiv bleiben! Mit dieser Art von Arbeit, der Gegenkonditionierung, sind Sie in der Lage, Ihren Hund aus unerwünschten Verhalten in akzeptable Verhalten zu bringen. Das können zum Beispiel auch Gefühle anderen Lebenwesen gegenüber sein (Katzen, Menschen/ Kinder), Orte, Gegenstände, …), auch unerwünschtes Verhalten in Bezug auf Berührungen können so verändert werden. Gerade in der Arbeit mit Angsthunden ist die Gegenkonditionierung von enormer Wichtigkeit!
Foto: Birthe ThompsonBitte verwechseln Sie hier aber die Futtergabe / Leckerligabe nicht mit Belohnung. Das Futter, die Leckerli sind in dieser besonderen Art der Konditionierung keine Belohnung, sondern ein Signal/ ein Reiz, das/ der bei Ihrem Hund ein bestimmtes Verhalten auslöst, welches mit dem Problemverhalten, nämlich den Hund anzuknurren, nicht vereinbar ist. (Auch Angst und Freude sind auf Dauer nicht gleichzeitig miteinander vereinbar). Das Leckerli aus Ihrer Hand stimmt nicht mit der Emotion durch Anblick des Fremdhundes überein. Er wird quasi aus dieser angespannten Haltung in eine entspannte gebracht. Und wir wissen: Körper und Psyche sind miteinander verbunden. Ist der Körper entspannt, können positive Emotionen folgen. Dadurch wird auch das Erregungsniveau gesenkt. Sind Sie nun in Ihrer Arbeit so weit gekommen, dass Ihr Hund den Auslöser in der niedrigsten Toleranz – Stufe aushält, können Sie langsam anziehen und etwas mehr Reiz zulassen. Und hier heißt es wieder: Hund beobachten! Ab wann verändert er wieder sein Verhalten, ab wann zeigt er erste Stresssymptome? Jetzt wird wieder gegenkonditioniert. Denken Sie daran! Vom Auftreten bis Verschwinden des Signals, das unerwünschtes Verhalten hervorruft, wird wieder Leckerli aus der Hand gegeben. Dann ist Schluss! Die Gegenkonditionierung funktioniert nur, wenn Ihr Hund sich sicher fühlt.
So arbeiten Sie sich langsam voran, die Toleranz-Schwelle wird immer höher und irgendwann sind Sie beide soweit, dass eine absolute Konfrontation mit der Stress-Situation erfolgt. Dann ist die Gegenkonditionierung abgeschlossen.
Für die Gegenkonditionierung bedarf es selbstverständlich auch ein angepasstes Umfeld. So, wie Sie mit der niedrigsten Toleranz-Schwelle beginnen, hier ganz aufmerksam auf alle Reaktionen Ihress Hundes achten, so müssen Sie natürlich auch auf das Umfeld, die Bedingungen, achten, die vorherrschen, wenn Sie Ihre Arbeit aufnehmen. Reagiert Ihr Hund mit unerwünschtem Verhalten einem Fremdhund gegenüber, ist die Wahl des Trainings an einem Hundeauslaufplatz nicht anzuraten, so wird es nicht klappen. Suchen Sie sich in diesem Kontext einen überschaubaren Ort, an dem Sie üben können, denn dort sind sie Trainingsbedingungen kontrollierbar. Sie haben die Anzahl der Hunde im Blick und Griff und können ebenso die Entfernung der Fremdhunde zu Ihrem eigenen Hund kontrollieren.
Wie lange können Sie mit Ihrem Hund am Stück arbeiten?
Nicht lange, das schon mal vorweg. Die Arbeit mit der Gegenkonditionierung stellt die höchsten Ansprüche und Anforderungen an Sie und Ihren Hund. Sie müssen sehr genau sein, auf den Punkt arbeiten und für Ihren Hund bedeuten diese Übungen Stress und Kopfarbeit. Darum dürfen Sie Ihren Hund natürlich nicht überfordern. Eine gute Trainingseinheit sind 3 bis 5 Minuten am Stück, dann sollten Sie die Übung wieder beenden.
Die Frage, die sich jetzt vielleicht Jagdhundebesitzer stellen:
Funktioniert die Gegenkonditionierung auch bei unerwünschtem Jagdverhalten?
Jain. Jain? Nur eingeschränkt. Hier ist eine erfolgreiche Arbeit mit der Gegenkonditionierung nur bei wenigen Jagdhunden von Erfolg gekrönt. Sie ist eine Möglichkeit bei Hunden mit leicht ausgeprägtem Jagdproblem. Wenn Ihr Hund sich auf konkurrierende Motivation einlässt, er zum Beispiel ein sogenannter Balljunkie ist, können Sie versuchen, mithilfe des Balls zu arbeiten.
Im Allgemeinen und nicht im Speziellen, dazu müssen Sie einen erfahrenen Hundetrainer zu Rate ziehen, ist die Arbeit mit der Gegenkonditionierung eine Möglichkeit bei unerwünschtem Jagdverhalten bei Hunden, die das Jagen aus Langeweile und Unterforderung für sich entdeckt haben. Hierzu gehören zum Beispiel einige Rassen der Hütehunde.
Ähnliches habe ich bereits bei der Desensibilisierung gelesen. Ist das nicht das gleiche?
Worin besteht der Unterschied? Was ist anders?
Gegenkonditionierung
- Ihr Hund wird in eine Situation verbracht, die das unerwünschte Verhalten auslöst
- In dem Augenblick, in dem der „Auslöser“ (Hier beispielsweise der Fremdhund als Signal ) auftaucht, bekommt Ihr Hund Futter/ Leckerli aus Ihrer Hand solange der Auslöser anwesend ist
- Die Gabe von Futter/ Leckerli wird sofort beendet, wenn der Auslöser, also der Fremdhund verschwindet
- Diese wiederkehrende Aktion führt zu einer Änderung des Gefühls bei dem immer gleichen Signal
- Ihr Hund wird in sehr kleinen Schritten an den Reiz, das Signal (hier der Fremdhund), herangeführt, der/ das das unerwünschte Verhalten auslöst
- Die Intensität des Reizes/ Signals, wählen Sie bei der Desensiblisierung so, dass kein auf den Reiz, hier Fremdhund, entstehendes Verhalten, eine Reaktion, entsteht
- Der Reiz, das Signal, ist immer anwesend und wird im späteren Verlauf unbedeutend
Sie haben in der Artikelserie „Hundeerziehung verständlich erklärt: Begriffserklärungen“ bereits auch schon über Strafe gelesen. So lassen sie mich bitte im Zusammenhang mit der Gegenkonditionierung folgendes anmerken:
Zeigt Ihr Hund unerwünschtes Verhalten, arbeiten Sie doch bitte mit Gegenkonditionierung, anstatt mit Strafe. So können Sie Ihrem Hund ein erwünschtes Verhalten beibringen und dieses konditionieren, wenn sich Ihr Hund in einer ihm Stress auslösenden Situation befindet. Diese Art der Arbeit ist sanfter und nachhaltig erfolgreicher, als gleich zu strafen. Ihr Hund lernt meist nur die Unterdrückung seiner Emotion, aber verändert sein Verhalten nicht, also seine emotionale Lage nicht. Und wir alle möchten doch gerne einen entspannten Hund.
Kritische Anmerkung:
Da die Arbeit mit der Gegenkonditionierung einiges an Wissen des Hundehalter voraussetzt, sollte kein Hundeanfänger direkt versuchen, hier zu experimentieren. Fragen Sie bitte einen erfahrenen Hundetrainer mit viel praktischer Erfahrung. Lassen Sie sich anleiten und Ihre Arbeit mit der Gegenkonditionierung auch ruhig von ihm/ ihr überwachten. Versteht man das Thema nicht ausreichend, ist es ganz leicht, Fehler zu machen. Ein Fehler, der meistens auftritt, ist das Verfallen in die instrumentelle/ operante Konditionierung. Warum? Die Arbeit wird nicht konsequent verfolgt. Das heißt, wenn Ihr Hund nun beispielsweise nur ab und zu eine Leckerli angeboten bekommt, wenn, wie in unserem Beispiel, ein Fremdhund von Ihrem Vierbeiner angeknurrt wird und Sie eventuell auch noch anfangen, mit Ihrem Hund zu reden, laufen Sie Gefahr, dass Sie das unerwünschte Verhalten, nämlich das Anknurren, verstärken, also belohnen. Das Ergbenis daraus kann ein intensiveres Auftreten des unerwünschten Verhaltens sein.
Darum bitte ich Sie, wenn für Sie die Gegenkonditionierung eine Chance für Ihren Hund verspricht, zunächst einen erfahrenen Hundetrainer aufzusuchen und sich in die Arbeit einweisen, sich anleiten zu lassen.