Sind Stadthunde wirklich so viel „ärmer“ dran als Hunde auf dem Land?
Immer wieder lesen wir mal Kommentare wie: Stadthunde sind gestresst und leben nicht artgerecht. Hunde haben in der Stadt nichts zu suchen.
Ich weiß eigentlich gar nicht, warum viele Menschen dazu neigen, immer nur in schwarz/ weiß zu denken. Das Leben ist so bunt und vielfältig. Warum also kann man nicht auch so leben, akzeptieren, dass neben der eigenen Lebensführung auch andere Modelle durchaus sehr praktikabel sind.
Ich habe beides in meiner Hundehaltung gelebt. Ich hatte Stadthunde als auch Hunde auf dem Land.
Nein, ich lebte nicht immer auf dem Land. Habe in einer Wohnung tatsächlich mit großen Hunden gelebt. Diese Wohnung teilten wir sogar noch mit Fischen und 2 Kaninchen. Nein, das war keine Tierquälerei und nein, auch war es überhaupt kein Problem.
Die Hunde sind in der Stadt aufgewachsen, haben Autos und Straßen kennen gelernt, liefen sicher an Menschen vorbei, die sie gar nicht interessierten, hatten weder Probleme mit Radfahrern noch mit spielenden Kindern. Sie fuhren mit mir gemeinsam in die Stadt, gingen mit mir in die Geschäfte, warteten sehr brav vor den Umkleidekabinen und waren eigentlich ausschließlich von anderen bewundert unterwegs. Sie gingen mit mir ins Restaurant, um unter dem Tisch geduldig zu schlafen, bis es wieder los ging.
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Sie kamen überall mit hin und wo immer sie mit reindurften – sie waren dabei! Sie waren immer mit, dabei und hatten eigentlich dadurch auch immer Programm, ohne, dass man welches für sie machen musste. Sie waren absolute Stadthunde und kannten alles. Sie brauchten keine Leine, liefen am Rad (ohne Leine) durch alle Straßen – waren super verlässlich – ich geh sogar so weit zu sagen: Sie waren einfach perfekt!
Sie hatten keinen Stress, trafen sie andere Hunde – auch sie gehörten zum Stadtbild. Und ja, wir hatten sogar tolle begrünte Hunderunden. Wollten wir mal etwas Anderes, ging es an den Strand … Es war super.
Später zog ein Hund vom Land zu uns. Das war schon eine ganz andere Geschichte. Um zu schauen, was der Junge alles so kennt, ging es an einem Samstag morgen zum Wochenmarkt. Aus dem Auto bekam ich ihn noch gut, ein paar Schritte liefen wir auch. Doch dann brach dieses Kalb zitternd zusammen. Keinen Schritt konnte ich mehr laufen. Die Angst vor dem eigentlich noch nicht wirklichen Stadtleben war so groß, dass ich beschloss, abzubrechen und mir einen Plan zu machen. Alle 2 Tage ging es wieder raus. Wir fuhren in die Stadt, direkt in die Stadtmitte, in die Einkaufsstraße, um dort nur zu sitzen und zu gucken. Donnerstags und samstags ging es zum Markt, einfach, um nur an der Straße zu stehen und zu gucken. Die Zeitabschnitte, also das Training, wurde immer etwas erweitert. Später dann, nachdem der Junge tatsächlich zurechtkam und nicht mehr panisch wurde, liefen wir sogar über den Markt. Von einem Stand zum anderen. An jedem Stand bekam er ein Leckerchen. Viele Standbetreiber gaben sogar etwas aus und ich musste nicht überall bezahlen. Die Wochenmarktrunde wurde immer weiter ausgedehnt, bis wir irgendwann alle Stände durch hatten und ich das Futter reduzieren musste.
Dieser Hund kannte wirklich so gut wie nichts und ich musste ihm nach und nach beibringen, dass das Leben in einer Stadt etwas anders läuft. Er wuchs hervorragend darein und wurde ein ausgesprochener Stadthund, der mit mir sicher durch alle Engen lief, Bus und Bahn fuhr und auch Zugfahren als total unproblematisch empfand. Menschen waren auch kein Problem mehr und er er wurde sogar etwas verspottet, hieß es doch, der „Rosa Handtaschenhund“ – bei 75 cm Stockmaß. Auch dreckig machte er sich nicht mehr und war, denkt man in „Mensch“ zu einem Schlipsträger geworden. Ich bildete ihn für meine Arbeit als Begleithund aus und er ging mit mir täglich arbeiten.
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Es kam die Zeit und wir zogen ganz raus auf das Land. Mittlerweile in einer anderen Hundekonstellation, ist aber der Grünschnabel, der damals einzog, nun als Senior mitgenzogen und lernte erstmals ein ganz anderes Landleben kennen. Durch das Stadtleben geprägt, waren viele seiner hündischen Eigenschaften etwas verkümmert und es galt, sie wieder zu erwecken. Es dauerte etwa 1 Jahr, bis unser Zulu verstand, dass er nun ein Hund auf dem Land sein kann und er seine Nase wieder einsetzen dürfe, auch mal einer Fährte nachgehen und vor allem, sich auch mal von meiner Seite lösen durfte. Denn er ist mir zu keiner Zeit auch nur 2 Meter gewichen.
Heute ist er ein typischer Hund vom Land. Und da Hunde extrem anpassungsfähig sind, sind sie auch in der Lage, sich tatsächlich völlig zu verändern. Er geht nun an die Gewässer, um zu saufen, frisst Erde, geht selbständig auf die Jagd und bringt mir ab und an auch mal ein Kaninchen (aus dem Garten!). Aber – und nun kommt es. Nehme ich ihn mit in die Stadt, ist er dermaßen aufgeregt und kaum zu führen. ER hat nichts mehr von einem Stadthund. Dann geht er heute mittlerweile doppelt gesichert und ist überhaupt nicht mehr entspannt. Jetzt müsste ich eigentlich ab und an wieder ein Stadttraining einplanen, damit er erneut „verkehrssicher“ mit mir durch Deutschlands Straßen schlendern kann.
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Was ich mit diesem Artikel sagen möchte: Hat man junge Hunde, kann man sie auf das eigene Leben vorbereiten, ihnen nach und nach alles beibringen. Hunde können hervorragend in der Stadt leben, haben oft mehr Programm als Hunde auf dem Land … die einfach nur durch die Felder streifen und sind nach meiner Erfahrung viel stressresistenter.
Dagegen, haben Sie einen Hund auf dem Lande gehalten und möchten dann in die Stadt ziehen, könnten Sie enorme Probleme mit Ihrem Hund bekommen. Hier sollten Sie dann in der Umzugsvorbereitung daran arbeiten, Ihrem Vierbeiner die Stadt rechtzeitig und nach und nach näherbringen. Ob ein Landhund aber jemals glücklich in der Stadt wird – das vermag ich nicht zu sagen, das kommt sicher auch auf den jeweiligen Hund an.
Wenn man die Möglichkeit hat, sollten beide, sowohl die Stadthunde das Land, als auch die Hunde vom Lande das Stadtleben kennen lernen.