Was bedeutet eigentlich dieses „Aufreiten“ vom Hund?
„Aufreiten”, “aufsteigen”, “aufspringen”, “rammeln”, “klammern” etc. sind alles Begriffe für eine Aktion oder auch Reaktion des Hundes.
Am Geläufigsten ist wohl die Annahme, ein „aufreitender“ Hund will sich fortpflanzen, ist somit sexuell motiviert. Nun, sicher sind auch unsere Hunde bestrebt, ihre Gene weiter zu geben und ihre Art zu erhalten.
Foto: Heike KönigFolgt man dieser Annahme, wie kommt es dann zum Aufreiten von einem Rüden auf einem Rüden, oder einer Hündin auf einer Hündin? Wie erklärt sich das „Aufreiten“ von Kastraten? Wie muss man das Verhalten bereits bei den kleinen Welpen einordnen?
Viele Fragen, die nicht unbedingt so sehr passend zu einer sexuellen Motivation gesehen werden können. Was also könnte noch hinter diesem Verhalten stehen?
Um dies deutlich zu machen, muss ich ein wenig ausholen.
Eine Hundehalterin kam zu mir, weil sie massive Probleme mit ihrem Rüden auf den Hundewiesen hatte. Sie beschrieb ein immer wiederkehrendes Szenario ihres kastrierten! Rüden, welcher andere Hunde kurz beschnupperte und sogleich anfing, auf dem anderen Hund aufzureiten. Dabei spielte es für ihn überhaupt keine Rolle, ob klein oder groß, ob männlich oder weiblich … er ritt auf oder versuchte es zumindest.
Ihr kastrierter Rüde war ein mittelgroßer Mischling. Aber er war ihr Ein und Alles, ihr Herzensbrecher, ihr Seelentröster. Ja, sie lebte allein – allein mit ihrem Hund. Ihr Rüde genoss alle Privilegien, die eines Menschen würdig sind. Er schlief im Bett (dies alleine ist ja nicht schlimm), er genoss es, auf der Couch mit Frauchen zu schmusen (dies alleine ist ja nicht schlimm), er bestimmte, wann er „raus“ wollte (dies alleine ist ja nicht schlimm), er meldete seine Futterzeit mit einem nervigen Gefiepe und Gejammer an (dies alleine ist ja nicht schlimm), er zog sie an der Leine von A nach B und blieb pausenlos stehen, um sein Beinchen zu heben oder um eine gut riechende Stelle zu untersuchen (dies alleine ist ja nicht schlimm), er ließ Besucher nicht in Ruhe und forderte seine Streicheleinheiten, solange diese seinem Frauchen nicht zu nahe kamen (dies alleine ist ja nicht schlimm), er folgte Frauchen auf Schritt und Tritt, sogar bis ins Badezimmer (dies alleine ist ja nicht schlimm).
Nun es gab noch weitere Kleinigkeiten, welche jedoch im Ganzen zu genau seinem Verhalten, dem „Aufreiten“ führten. Das große Ganze machte den kleinen Kerl so wichtig, dass er gar nicht anders konnte, als sich seiner Verantwortung zu stellen. Die Verantwortung, Gott und der Welt zu zeigen, dass alles um ihn herum sein Eigen ist. Er musste seinen Status demonstrieren und musste ebenso ganz auf hündische Art allen anderen zeigen, wo er steht und vor allem, wo sie denn bitte zu stehen haben … Immerhin kann nur einer die Krone tragen und seine war aus Gold.
Hier hatten wir also einen kleinen kastrierten, „aufreitenden“ Rüden, der tatsächlich der Meinung war – „Mir gehört die Welt.“
Ein weiterer Fall, der mir immer in Erinnerung bleiben wird.
Wieder ein Rüde, allerdings intakt, so könnte man meinen –ja, jetzt kommt eine sexuelle Motivation. Nein! Weit gefehlt.
Dieser Rüde, ein Deutsch Drahthaar, kam mit seinem Besitzer in den Hundeverein, den ich vor Jahren unterstütze. Der Hundehalter, ein etwas grämiger Mann mittleren Alters, aus Leidenschaft dieser Rasse verfallen, führte seinen Hund angeleint an einem Würgehalsband auf den Platz und ging zielstrebig auf die Trainerin zu. Als der Hund die Trainerin voran dem Hundehalter erreichte, hob er schon mal direkt sein Bein und pinkelte der Trainerin ans Hosenbein. Kurzum, er hat sie markiert.
Der Hundehalter brachte seinen Hund mit lauten Worten und einem ordentlichen Ruck an der Leine zur Räson. Die Trainerin griff gleich ein und ermahnte den Hundehalter, seinen Hund nichts so hart anzufassen und doch bitte das Würgehalsband auf „fest“ zu stellen. Sie half ihm und übernahm die Leine. Genau in dem Moment der Leinenübergabe, hatte sie den Hund klammernd an ihrem Bein. Sexuelle Motivation? Sicher nicht.
Der Hund hat lediglich hündisch deutlich gemacht, dass er die Führung der Hundetrainerin ganz klar in Frage stellt und signalisiert: „Du führst mich nicht“.
Ich könnte unzählige weitere Beispiele nennen, die alle ganz individuell anders gelagert sind.
Um nun abschließend auch noch die kleinen Welpen nicht zu vergessen …
Welpen und Junghunde (vor der Geschlechtsreife) „reiten“ ebenfalls ohne den Hintergrund einer sexuellen Motivation auf.
Jedoch sollte man hier nicht dazu neigen, dem Welpen oder juvenilen Hund pauschal eine Demonstration von „Macht“ zu unterstellen, denn die kann er noch gar nicht haben. Bei Welpen und juvenilen Hunden gehört das Antesten von Stärken und Schwächen zum ganz normalen Erwachsen werden. Sie probieren sich lernend aus, wollen ihre Grenzen erforschen und benötigen ihrer Natur gemäß alle Facetten im Verhalten, um gut und möglichst unbeschadet durch ihr erwachsenes Leben zu kommen.
Fazit: Es ist nicht immer DAS, was wir sehen, oder meinen zu sehen.
Heike Beuse
Absolut-Hund
Redaktionelle Anmerkung: von Birthe Thompson:
Das Thema „Aufreiten“ beschäftigt viele Hundeleute und –Profis gleichermaßen. In allen Hundebüchern finden wir hierzu Wissenswertes.
Dennoch ist das Aufreiten für uns Hundeleute, Hundehalter, meist nicht richtig zu deuten; wir sind darin nicht geschult und unterrichtet, das jeweilige Verhalten richtig einzuschätzen oder einzuordnen. Stellen wir Fotos ein von spielenden, aufreitenden Hunden, lesen wir oft Kommentare wie: „Oh ha, da ist aber jemand ziemlich sexuell motiviert“ , oder aber „… der ist aber dominant“. Dabei ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit niemand der Kommentatoren in der jeweiligen Situation vor Ort gewesen und kann demnach genau diese Szene gar nicht kommentieren.
Es ist schwierig für uns, die sämtlichen möglichen Aufreitsituationen zu erkennen und sicher zu beurteilen. Eines jedenfalls ist sicher, wir Hundeleute sollten dieses nicht dulden. Fühlt sich ein Hund bedrängt, ist es kein „eben mal versuchen“, kein „eben mal Hüftjogging“, dann sollten wir einschreiten und dieses Verhalten abbrechen. Dann entspannen sich zum einen die Hunde und es führt auch zu einem besseren Verhältnis zwischen den Menschen.
Hier mal noch ein paar Zitate aus Hunde(fach)büchern:
- „Das Aufreiten ist in der Regel dem Paarungsverhalten zuzuordnen. Es kommt allerdings auch außerhalb der Fortpflanzung vor und zwar sowohl bei Welpen als auch bei erwachsenen Tieren beiderlei Geschlechts mit gleich- und gegengeschlechtlichen oder sogar artfremden Individuen, auch gegenüber dem Menschen oder Gegenständen wie z.B. Kissen oder Plüschtieren. Bei Welpen kann dieses Verhalten im Umgang mit gleich – und gegengeschlechtlichen Artgenossen als präsexuelles Verhalten interpretiert werden, ist Bestandteil des Reifungsprozesses und steht im Zusammenhang mit der sexuellen Prägephase. Desweiteren ordnet man das Aufreiten auch dem Rangordnungsverhalten zu bzw. kann es dem Stressabbau in Konfliktsituationen dienen. “(Hundeverhalten – Das Lexikon Andrea Weidt, RORO-Press Verlag AG, Dietlikon)
Redaktionelle Anmerkung: von Birthe Thompson
Das Aufreiten, z. B. zum Stressabbau, kann man auch häufig bei Not- oder Abgabehunden sehen. Das Aufreiten in diesem Zusammenhang beim Menschen ist sehr häufig eine Übersprungshandlung, Stressabbau.
- “(Quer)-Aufreiten
Der Angreifer legt seine Vorderbeine quer von der Seite oder schräg von hinten auf den Rücken des Gegners, droht oder richtet durch Vorstoßen des Kopfes unter deutlicher Beißhemmung Bisse gegen dessen Nacken. Quer-Aufreiten kommt in relativ harmlosen Beiß- und Drohsituationen vor und kann sowohl vom ranghöheren als auch vom rangniedrigeren Tier gezeigt werden.” (Feddersen-Petersen in “Ausdrucksverhalten beim Hund”)
Redaktionelle Anmerkung: von Birthe Thompson
Dieses Queraufreiten sieht man sehr häufig. Nach meinen praktischen Erfahrungen kann dieses sowohl auf einer normalen Hundebegegnung fremder Hunde im direkten Kontakt beobachtet werden, als auch zwischen zusammen lebenden Hunden in gemeinsamer Interaktion.
- „Aufregung, Stress, Angst, aufmerksamkeits-heischendes Verhalten aber auch ein emotionaler Konflikt können die Auslöser für Aufreit-Verhalten sein. „ (Marc Bekoff)
Redaktionelle Anmerkung: von Birthe Thompson
Ja, kommt sehr häufig vor und wie bereits schon angemerkt, sehr häufig bei Hunden aus dem Tierschutz. Ganz oft gerade auch bei Abgabehunden, die auf einmal total überfordert sind und vor der plötzöichen Situation stehen, dass ihr bisheriges Leben nicht mehr existent ist und sie sich in die „Überlebensphase“ begeben müssen.
- “Aufreiten kann Teil einer Folge von Verhaltensweisen sein, die mit Aggression, einem hohen Status, Ressourcenverteidigung, direktem Fixieren und Bedrohen sowie sich über einen anderen stellen in Zusammenhang stehen. Aber das Aufreiten selbst, weist nicht auf etwas Statusbezogenes hin.” (Peter Borchelt / Hecht, J. “Humping: Why do they do it?” The Bark, June-August 2012: 70, 56-60.)
Redaktionelle Anmerkung: von Birthe Thompson
Ja, und genau hier muss man dann tatsächlich schauen, ob das Aufreiten aus oben genannten Gründen motiviert ist. Unangenehmerweise bleiben genau diese Ursachen in vielen Köpfen der Hundehalter haften und diese sehen in jedem Aufreiten eine aggressive, dominate Verhaltensweise eines Hundes. Das ist gefährlich. Der Hund kann falsch gelesen und somit auch im Umgang mit ihm eine Reihe von Fehlern gemacht werden.
Fazit: von Birthe Thompson
Urteilen Sie bitte nicht voreilig über eine Situation des Aufreitens. Fragen Sie gegebenenfalls einen geschulten Hundetrainer, einen Verhaltenstherapeuten, der die Art des Aufreitens, die Sie beunruhigt, fachgerecht einschätzen kann.
5 Kommentare
Hallo,
wir haben einen 3-jährigen unkastrierten Golden Retriever-Rüden, der auffällig gerne von kastrierten und unkastrierten Rüden und manchmal sogar Hündinnen bestiegen wird.
Er ist ein sehr sanfter, sozialer eher unsicherer Typ.
Ist nur etwas problematisch bei schwereren Hunden, weil er leider HD hat.
Wir haben ihn mit 1 Jahr bekommen und der Besitzerwechsel war für ihn nicht leicht.
Ich bin nur nicht sicher, ob er sich nicht traut sich zu wehren oder ob er abwägt wie “bedrohlich”/ wie viel Konkurrenz der aufreitende Rüde ist?
Gruss,
Alexandra
I
Hallo ich hätte eine Frage!
unser Rüde unkastriert hat eigentlich mit keinem hund ein Problem!
auch stundenlanges spazieren gehen mit anderen ist kein Problem- er spielt auch mit ihnen!
Doch wenn er dann “zuviel hinten riecht” schaltet er um und beginnt aufzureiten und ist nicht mehr wegzubringen ausser man leint ihn an! das hauptsächlich bei Hündinnen oder kastrierten rüden-unkastrierte kennen wir nicht wirklich!
danach liegt er oft zittert 2-3 stunden will nichts fressen bis er erbricht dann ist es wieder ok…
woher weiß man ob das dominanz oder doch sexuelles Interesse ist?
Vielen Dank schon mal
Lg
Hallo Kerstin,
also mit Dominanz hat das nichts zu tun. Ich habe da eine Idee … Können Sie das vielleicht mal etappenweise aufnehmen? Also kleine Videos (Handy reicht) drehen? Wenn ja, senden Sie mir die doch bitte mal an redaktion@wissen-hund.de
Nette Grüße
Birthe Thompson
Hallo, ich habe seit 2 Tagen einen kleinen Mischling srueden – kastriert- und der hat Spaß am rammeln mit Kissen und den Schaffelldecken. Stressabbau???Ansonsten ist er pfiffig und lieb.
Was kann ich tun??
Hallo Frau Borchwald,
das kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Man mag schnell eine Meinung hierzu haben, aber ohne das Szenario in allen Einzelheiten zu sehen, ist es mir nicht möglich, eine wirkliche Aussage zu treffen. Vielleicht gibt es in Ihrer Nähe eine kompetente Hundeschule, die Sie befragen können, sprich, ein Trainer sich das mal vor Ort anschaut?
Nette Grüße
Birthe Thompson
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