Wenn Hunde überfordert sind oder werden.
Die Hundehaltung birgt doch immer Überraschendes. Seien es die Hunde, die es sehr gut verstehen, uns immer mal wieder vor Herausforderungen zu stellen oder seien es wir Menschen selbst, die sich, oftmals bedingt durch äußere Umstände, neue Herausforderungen und damit (hausgemachte) Probleme schaffen.
Fängt man an, sich mit Hunden zu beschäftigen, und hier meine ich nicht unbedingt „nur“ mit dem eigenen, verfällt man schnell in eine Art Sucht, mehr und mehr über diese wunderbaren Geschöpfe lernen zu wollen.
Besonders natürlich schauen wir darauf, wie wir unsere Fellfreunde artgerecht (unter)halten, sie beschäftigen können. Und wie Sie sicher selbst schon die Erfahrungen machen konnten, ist der Markt, das Feld, fast unerschöpflich. Regelmäßig kommen neue Modelle oder neue tolle Beschäftigungen auf den Markt. Jedes neu eingeführte Modell verspricht natürlich das Non-Plus-Ultra in der Hundehaltung und –Erziehung zu sein.
Wenn Sie dann eigentlich nicht mehr genug Abstand haben und es auch vielleicht zu Ihrem Beruf gehört, sich mit dem Thema „Hund“ zu beschäftigen, können Sie in eine Falle treten.
Gestresste Hunde.
Ausschlaggebend für diesen Artikel war eine Erfahrung, die ich selbst mit einem unserer Hunde machte. Ein paar Tage später erschien in dem Blog von Tierarzt Ralph Rückert ein hervorragender Beitrag, den Sie bitte unbedingt lesen sollten:
In bester Absicht und doch zu viel
, der genau das wiedergab, was wir doch gerade erlebten und „neu“ lernten.
Stets auf der Suche, unseren Hunden Abwechslung zu bieten, sie auszulasten, physisch und psychisch, kann man schon mal unter Druck geraten. Unsere Hunden sollen es so richtig gut haben, sie sollen glücklich sein, uns bitte lieben und unsere ganze Welt sein, so wie wir es auch für sie sind.
So gab es immer wieder Pläne darüber, was wir am nächsten Tag so mit unseren Freunden machen. Laufen, rennen, suchen, riechen, finden, Unterordnung, kontrolliert jagen, spielen, über Stock und über Stein statt Agility … Rad fahren … Fährte … wandern …. das ganze Programm.
Während unser Zulu (knapp 8 Jahre) mal das eine annahm oder auch nicht, aber eher so „sein Ding“ macht, konnte unser Tango (knapp 3 Jahre) es gar nicht abwarten, dass es los ging. Wir freuten uns zunächst darüber und waren uns sicher, er ist glücklich, wir können ihm das Leben bieten, das er braucht.
Gestresste Hunde.
Immer kürzer wurden seine Ruhephasen. Immer öfter kam er und schaute uns mit einer Sprechblase an: “Los??? Können wir JETZT los???” Das alleine war schon unangenehm, aber … er fing an zu jaulen, heulen, wimmern, gar an zu schreien …
Erschwerend hinzu kamen die Niederlassungen der ganzen Wildvögel, die hier auf Durchreise sind und direkt hausnah zu Tausenden ihr Zwischenzuhause bezogen. Das Geschnatter, das für uns schon oft etwas Störendes hat, für Hunde natürlich noch viel intensiver ist, untermalte den Drang nach draußen noch viel stärker.
Wir versuchten, Tango müde zu machen … liefen — liefen – und liefen … Dabei hatte er einige Jagdsequenzen, die für ihn Glück pur waren.
Wir selber sahen uns erschöpft, der Rüde jedoch schien aufzublühen. Allerdings kippte die Situation. Während wir zunehmend erschöpfter waren, kam unser Tango nicht mehr zur Ruhe, er fraß nicht mehr und schlief auch nicht. Leider auch nachts nicht. Er lief heulend im Haus umher und hatte nur den einen Wunsch: “Lass uns raus gehen. Bitte, mach die Tür auf und lass uns raus gehen …”
Wir konnten nicht mehr und fragten uns ernsthaft, ob wir wohl die richtigen Halter für den Hund sind. Das erste Mal in meinem Leben mit Hunden fühlte ich mich in der Haltung total überfordert und war am Ende meines Wissens …
Gestresste Hunde.
Hilfe! Wir brauchten Hilfe. So fing ich an, in meinem Netzwerk von erfahrenen Hundemenschen nachzufragen. Die erste Frage galt stets nach einer läufigen Hündin, was wir hier aber ausschließen konnten. Nach vielen Gesprächen mit so einigen Menschen dann die Erkenntnis durch Anna-Lena Pilgram – Hundezentrum Pilgram, Andrea Brunstein, Tangos Züchterin und Andrea Blath, Tierheilpraktikerin: WIR SIND SCHULD! Die Erkenntnis aller beruhte darauf, dass sie zum einen uns natürlich kennen und wissen, wie wir mit Hunden umgehen, wie sie mit uns leben und zum anderen, welches Wissen wir selbst zu Hunden haben.
Wir haben uns einen Bewegungsjunkie anerzogen, wir haben dazu beigetragen, dass der „Junge“ nicht mehr entspannen konnte. Wir sind daran schuld gewesen, dass er nicht mehr in den Schlaf kam, weil wir ihm die nötige Ruhe gar nicht gegeben haben …
Wie kann das sein, fragen sich viele. Gerade ich, die „Hund“ lebt, die Hundehalter berät, die Hunde begleitet, gerade ich mache solche Fehler? Fehler? Ist das einer? Ich weiß es nicht. Ich denke, es ist kein Fehler, aber ein Ehrgeiz nach gut, besser, am besten , der eine Eigendynamik entwickelte.
Wir haben umgestellt und haben unsere Beschäftigungszeiten reduziert, Ruhehaltungsübungen eingeführt . Und was soll ich sagen? Wir haben wieder einen entspannten Rüden, der viel schläft, wieder ruhig ist. Wir können wieder telefonieren und den anderen Teilnehmer wirklich verstehen, können wieder arbeiten … Und vor allem können wir wieder schlafen … einfach entspannt mit Hunden leben …
Gestresste Hunde.
Dieser Artikel soll Ihnen 2 Dinge sagen. Nämlich, dass man sich vielleicht nicht von der vorgelebten Welt der Beschäftigungsmöglichkeiten zu arg anstecken sollte. Den Anspruch, ein richtig toller Hundehalter zu sein, vielleicht nochmal neu definiert und vor allem auch zu schauen, wen fragt man bei wirklichen Problemen. Wer kann helfen? Ein „normaler“ Hundetrainer oft nicht. Denn dieser kennt weder Sie richtig, noch Ihren Hund. Aber man ist gut beraten, in seinem engen Umfeld, das genaue Kenntnis über die eigene Lebensführung –und philosophie besitzt, nach Hilfe zu suchen. Oft sind es die (Ein)blicke von Außen, die uns die Augen öffnen.
Und eine Frage, die Tierarzt Ralph Rückert in seinem Beitrag stellte, blieb mir tatsächlich brennend im Gedächtnis:
Bevor ich diesen Artikel online stellte, sprach ich noch mit einigen Hundeleuten über diese eigene Erfahrung. Ich war erstaunt darüber, dass doch der eine oder andere dieses Problem kannte, jedoch nicht so schnell Abhilfe leisten konnte, weil diese Problematik nicht erkannt wurde. Und ich möchte hier noch etwas weiter gehen. Ich bin davon überzeugt, dass so einige Hunde ihr Zuhause verlassen mussten, die eventuell das gleiche Problem mit ihren Menschen hatten und nicht verstanden wurden. Denn dann macht es für mich auch wieder Sinn, wenn der umgezogene Hund im neuen Zuhause völlig entspannt ist.