Das Cauda Equina Compressions Syndrom (CECS)
Das Cauda Equina Compressions Syndrom wurde erst vor ca. 20 Jahren als wichtige Hundeerkrankung beschrieben. Bis dahin wurden viele der Erkrankungen, die jetzt dem CECS zuzuordnen sind, in der klinischen Veterinärmedizin als “degenerative Myelopathie” zusammengefasst. Anatomisch-pathologisch konnte eine degenerative Myelopathie bei den meisten Tieren allerdings nicht nachgewiesen werden, so dass die Erkrankungen lange Zeit rätselhaft blieben.
Unter einem Syndrom versteht man in der Medizin eine Zusammenfassung von Krankheiten, die häufig gemeinsam vorkommen, unter Umständen aber verschiedene Ursachen haben können. Genau dies ist bei dem CECS der Fall. Heute weiß man. dass das CECS häufig durch typische Bewegungsabläufe von Diensthunden (häufige Sprünge, Spüren auf der Hinterhand) ausgelöst werden kann und deshalb, insbesondere bei Spürhunden, deutlich gehäuft vorkommt.
Hier wird das CECS anhand folgender Fragen erläutert:
1. Was ist eigentlich die Cauda equina? Wo liegt sie genau? Welche Funktion hat sie,bzw. wie uern sich Erkrankungen dieses Organs?
Die Cauda equina stellt das hinterste Segment des Rückenmarks bei allen Säugetieren dar, Lage und Funktion sind jedoch tierartlich recht verschieden. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher in den speziellen Teilen nur auf den Hund. Die lateinische Bezeichnung Cauda Equina (Pferdeschweif) bezieht sich übrigens auf die zahlreichen, in diesem Bereich austretenden Nerven.
Rückenmark und Gehirn bilden eine funktionelle Einheit – das Zentrale Nervensystem (ZNS). Es wird optimal durch einen knöchernen Panzer, gebildet aus Schädelkapsel und Wirbelkanal, geschützt. Dieser Schutz bedeutet aber auch gleichzeitig Einengung und die Gefahr einer Druckschädigung, da Rückenmark und Gehirn auch geringen raumfordernden Prozessen kaum ausweichen können.
Die Wirbelsäule bietet jedoch dem Rückenmark nicht nur Schutz, sondern sie trägt auch in besonderem Maße zur raschen Bewegung des Hundes bei. Sie muss daher sowohl elastisch als auch stabil sein. Die Natur löste dieses Problem durch die abwechselnde Folge von Wirbelknochen und Zwischenwirbelscheiben sowie einem komplexen Spannapparat aus Bändern und Muskeln. Knochen und elastische Elemente unterliegen einem alters- und belastungsabhängigen Verschleiß. Der Körper reagiert auf diesen Verschleiß mit verschiedenen Reparatur- und Kompensationsmechanismen, die selber wiederum krankheitsauslösend sein können.
Sowohl durch primäre Erkrankungen als auch durch die Reparaturversuche des Organismus kann es zu raumfordernden Prozessen mit Störungen der Cauda Equina bzw. der im Kreuzbeinbereich austretenden Nerven kommen. Neben Schmerzen können vor allem folgende Funktionen beeinträchtigt sein:
- After-/Blasenfunktion (Nervus pudendus),
- Rutenfunktion (Schwanznerven),
- Hinterhandmotorik und -sensibilität (N. ischiadicus).
- Schmerzäußerung bzw. Verweigerung gewohnter Übungen bei Belastung (Absitzen,
- Aufrichten auf die Hinterhand z. B. beim Spüren und beim Schutzdienst),
- gemischte bzw. Hangbeinlahmheit (Schleifgeräusch),
- verminderte Rutenbewegung bis hin zum” Hammelschwanz”,
- Rutenbeißer (wegen Schmerz oder “taubem” Gefühl in der Rute) und seltener
- Schwierigkeiten beim Kot- und Harnabsatz (offener After, Überlaufblase).
2. Gibt es für das CECS auffällige Häufungen des Vorkommens?
Nach einer Untersuchung von Prof. Köppel (Universität Wien) gibt es eine starke Rassen- und Altersdisposition (ca. 27 % DSH, ca. 30 % Rottweiler, ca. 49 % unter 3 Jahre alt sowie eine schwache Geschlechtsdisposition (55 % Rüden). Die Häufung der Rottweiler in o. a. Statistik ist durch die Beliebtheit der Rasse (auch als Diensthund) in Österreich erklärbar.
Nach eigenen Beobachtungen tritt die Erkrankung hauptsächlich bei hochbelasteten und besonders leistungsfähigen Tieren bis zum Alter von 6 Jahren (meistens unter 4 Jahre.) auf.
Aufgrund des Auftretens gerade bei jüngeren Hunden ist dies bei einer tierärztlichen Ankaufsuntersuchung besonders zu berücksichtigen. Nach meiner Erfahrung werden diese Tiere auch häufig gerade wegen beginnender Leistungseinbußen einer Behörde angeboten, ohne dass das Tier dem Verkäufer als krank bekannt ist. Es hatte vielleicht in letzter Zeit nur öfter mal einen nicht erklärbaren “Aussetzer”.
3. Welche Formen des CECS gibt es?
- 3.1 Dynamische Kompression der Cauda equina
3.1.1 Kompression durch Bandhypertrophie
Dies ist eindeutig die häufigste Form des CECS beim Diensthund (ca. 70%). Die Erkrankung entsteht folgendermaßen: Auf erhöhte Belastungen in der Kreuzbein-Lendenregion (durch hohes Spüren, Sprünge, Galopp) reagiert der Organismus des Hundes häufig mit einer Verstärkung von 2 elastischen Bändern, die das Kreuzbein und den 7. Lendenwirbel unter Zug miteinander verbinden. Beim Aufrichten des Hundes befindet sich diese gelenkige Verbindung in durchgestreckter Stellung und die Bänder verkürzen sich unter gleichzeitiger Dickenzunahme. Ab einer bestimmten Dicke der Bänder wird hierbei jedes mal die Cauda equina für einen kurzen Moment sanduhrförmig eingequetscht und so auf Dauer geschädigt. Dieser Effekt kann z. B. durch eingelagertes Fett im Wirbelkanal noch erheblich verstärkt werden.
Die Cauda equina wird durch das Ligamentum Flavum und / oder das Ligamentum longitudinale dorsale in Hyperextensionsstellung, d. h., wenn der Hund sich auf die Hinterhand aufrichtet, für einen kurzen Moment komprimiert.
3.1.2 Lumbosakrale Instabilität
Bei dem unter 3.1.1 beschriebenen Bewegungsablauf senkt sich bei dieser Krankheitsform das Kreuzbein aufgrund einer abnormen Beweglichkeit der gelenkigen Verbindung nach unten ab. Die Cauda equina wird hierbei durch den Wirbelbogen eingedrückt. Gleichzeitig werden die, zwischen 7. Lendenwirbel und Kreuzbein austretenden, Nerven durch eine Einengung der Nervenaustrittsöffnungen (For. intervertebr.) gequetscht. Eine zusätzliche Komplikation (Sonderform) ist die mehrfach von mir gesehene dornenförmige Ausprägung des vorderen Daches des Kreuzbeinbogens.
- 3.2 Dauerhafte Kompression der CE
3.2.1 Spondylosen
Diese Form stellt die Ausnahme dar, da meist keine Kompression der CE vorliegt. Die Beschwerden entstehen hierbei eher durch Reizungen der Nervenwurzeln (Radikulitis) oder durch die Spondylose selbst.
3.2.2 Diskusprolaps
Hierbei drückt der vorgefallene Kern der Zwischenwirbelscheibe von unten auf die CE.
3.2.3. Innere Kompression: Hier erfolgt die Kompression durch Umfangsvermehrungen (in der Regel Tumore), die sich innerhalb des Rückenmarksegmentes ausbreiten.
4. Welche Krankheitsanzeichen gibt es und wie wird die Diagnose gestellt? Mit welchen Krankheiten kann die CEC verwechselt werden?
Recht typische Krankheitsanzeichen einer Kompression der CE sind bei der klinischen Untersuchung:
- Schmerzen bei beidseitiger, nicht jedoch bei einseitiger, Streckung der Hüftgelenke,
- verzögertes Absitzen ohne Schmerzen bei passiver Bewegung der großen Gelenke und
- Schmerzen bei Druck auf die Wirbelsäule zwischen den Darmbeinschaufeln.
Unsichere Anzeichen sind unklare Lahmheit und verzögerte Korrekturreaktionen.
Nach der klinischen Untersuchung müssen die wichtigsten Differentialdiagnosen (verwechselbare Erkrankungen) ausgeschlossen werden, nämlich: Coxarthrose, Spondylose ohne Cauda equina compression, kompressive Erkrankungen anderer Rückenmarksegmente, Infektionskrankheiten und Stoffwechselerkrankungen des ZNS, Verletzungen der Rute, Erkrankungen des Enddarmes, des Afters, der Blase und der Prostata, degenerative Myelopathie, Muskelkontrakturen und evtl. inguinaler Kryptorchismus. Da für die genannten Krankheitsanzeichen jedoch mehrere, evtl. gleichzeitig vorliegende Erkrankungen und verschiedene Formen der CEC in Frage kommen, ist es das Ziel der erweiterten klinischen und radiologischen Untersuchung die Diagnose auch im Hinblick auf diese Fragestellungen abzusichern. Dies ist insbesondere auch im Hinblick auf die Prognose und eine eventuelle Therapie notwendig.
Hierzu erfolgt eine exakte radiologische Untersuchung der Wirbelsäule (incl. Rute) und evtl. der Bauchregion. Bei Harnabsatzstörungen erfolgt ein urologischer Untersuchungsgang. Die Verdachtsdiagnose wird durch eine Rückmarkkontrastaufnahme (Myelographie) mit zusätzlichen gehaltenen Aufnahmen bestätigt. Bei der Myelographie werden ca. 5 – 8 ml Kontrastmittel (beim DSH) in tiefer Vollnarkose im Nackenbereich in den flüssigkeitsgefüllten Hohlraum im Wirbelkanal appliziert. Nach ca. 5 min Einwirkzeit in aufrechter Position werden Serienaufnahmen der gesamten Wirbelsäule gefertigt. Die gleichzeitig entnommene Rückenmarkflüssigkeit wird im Labor untersucht (Eiweißgehalt, Zellzahl, Zytologie). Aus dem hiermit verbundenen Aufwand, wie auch der sorgfältigen Überwachung nach der Myelographie erklären sich die hohen Kosten für diese Untersuchung. Leider ist die Myelographie, auch bei sicherer technischer Beherrschung, eine Untersuchungstechnik mit einer relativ hohen Komplikationsrate (bis zu 0,5 % schwere, teilweise tödliche Komplikationen, ca. 20-30 % Krampfanfälle bis mehrere Stunden nach der Untersuchung). Für bestimmte Fragestellungen (z. B. bei Tumorverdacht) ist die Kernspintomographie heute die Untersuchungsmethode der Wahl.
5. Prognose und Therapie?
Die meisten Formen des CECS zeigen keinerlei Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie! Dieser Umstand kann auch für die Diagnose wichtig sein. Die Therapie erfolgt deshalb in der Regel operativ durch dorsale Laminektomie (Erweiterung des oberen Wirbelbogens, Abb. 4), bei einseitigen Spondylosen evtl. durch Hemilaminektomie (Erweiterung des Loches des Nervenabganges) und bei Instabilität evtl. durch Verplattung. Der operative Aufwand ist hoch. Eine Wiederaufnahme des Dienstes kann ca. 6 Wochen nach der Operation beginnen. Volle Dienstfähigkeit in geglückten Fällen nach ca. 3 Monaten. Gründe für Misserfolge: zusätzliche oder weitergreifende Erkrankungen der Wirbelsäule oder z. B. der Hüftgelenke, dauerhafte – nicht reversible Schädigung der CE (alle Operationen schaffen nur die Voraussetzung für eine Regeneration) und Zuwachsen der Erweiterungsöffnung (eher selten).
In der Praxis liegen häufig Mehrfacherkrankungen und länger bestehende Erkrankungen vor. Deshalb macht die Operation nicht bei allen Diensthunden Sinn. Ein Fortschreiten der Erkrankung kann hierbei, unter Verzicht auf bestimmte dienstliche Nutzungen, durch striktes Vermeiden des Aufrichtens auf die Hinterhand deutlich verzögert werden.
Der Schlüssel für eine erfolgreiche Therapie ist die frühzeitige, exakte Diagnosestellung. Leider stößt man mit Routinemethoden hierbei schnell an die Grenzen des Machbaren, da das CECS im Frühstadium, z. B. bei der Ankaufsuntersuchung, meist nicht sicher erfasst werden kann.
6. Prophylaxe, Empfehlungen zum Zwingerbau
Im wesentlichen sind hier die gleichen Risikofaktoren zu vermeiden, die zur Entstehung der Spondylosen führen. Nach meiner Erfahrung neigen Diensthunde, die in Zwingeranlagen gehalten werden dazu, sich am Frontgitter auf die Hinterhand aufzurichten. Dieses, im Hinblick auf das CECS ungünstige, Verhalten wird durch schmale und tiefe Zwingeranlagen mit Welldrahtgittern deutlich gefördert. Auch der, nach der Tierschutzhundeverordnung geforderte, Sichtkontakt der Hunde untereinander ist in Hinblick auf die Entstehung des CECS kritisch zu betrachten. Für Neubauten empfehle ich daher Zwinger mit einer Front aus Stabgitterelementen (Querverstrebungen in 50 und 150 cm Höhe) und einem Grundriss, der breiter als tief ist. Leider ist diese Bauweise etwas kostenintensiver und eignet sich nicht für alle Grundstücke und klimatischen Gegebenheiten.
Quelle: www.eschenbruch.com/html/cauda.html